Unmoralische Angebote bleiben erlaubt

05.11.2012 Das Abwerben von Vertriebsmitarbeitern bleibt erlaubt und ist nur in Ausnahmefällen unzulässig.
Grundsätzlich hat kein Vertriebsunternehmen Anspruch auf den Bestand seiner Handelsvertreter. Denn jeder Unternehmer muss sich dem Konkurrenzkampf um Mitarbeiter stellen. Es ist daher erlaubt, sich die benötigten Fachkräfte auch durch das Ausspannen von Mitarbeitern eines Konkurrenten zu beschaffen. Dies gilt selbst dann, wenn die Abwerbung bewusst und planmäßig erfolgt und auch unabhängig davon, welche und wie viele Mitarbeiter abgeworben werden. Wettbewerbswidrig wird das Abwerben von Handelsvertreter durch Mitbewerber erst dann, wenn neben der Abwerbehandlung besondere Umstände hinzutreten.

Auch der gezielte Versuch, umsatzstarke oder erfahrene Kräfte zu gewinnen, ist bis zum Hinzutreten unlauterer Umstände grundsätzlich zulässig. Denn dass Handelsvertreter, die ein Konkurrent abwerben möchte, nicht unerfahren und umsatzschwach sind, liegt auf der Hand. Ein Mitbewerber dürfte kein Interesse daran haben, wenig effiziente Mitarbeiter für sich zu gewinnen.

Die Schwelle zur Wettbewerbswidrigkeit wird mit unzulässigen Methoden oder unlauteren Zielen der Abwerbung überschritten. Wenn das Abwerben von Handelsvertretern also nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet ist, sondern wenn der Mitbewerber daran gehindert wird, seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung in angemessener Weise zur Geltung zu bringen. Das Vorgehen muss sich insgesamt als eine wettbewerbliche Kampfmaßnahme darstellen. Diese muss erkennen lassen, dass der Mitbewerber durch ein planmäßiges Ausspannen eingearbeiteter Arbeitskräfte geschädigt werden soll.

Insoweit muss in einem eventuellen Prozess dargelegt werden, dass die Abwerbeaktivitäten mit dem Willen erfolgt sind, den Mitbewerber zu behindern oder zu schädigen. Dies geht aus einer aktuellen Entscheidung des OLG Oldenburg zum Handelsvertreterrecht hervor. Danach liegt schon kein außergewöhnlicher Umfang an Abwerbeaktivität vor, wenn bei genauerer Betrachtung der in einem Gerichtsverfahren vorgetragenen Einzelfälle kein erhebliches Ausmaß dargelegt wird. „Der Kläger ist in diesem Verfahren u.a. daran gescheitert, dass v.a. pauschale, nicht belegte Behauptungen vorgetragen wurden“, so Rechtsanwalt Dietmar Goerz von der GPC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Der Rechtsanwalt meint: „Der Nachweis dieser ‚unlauteren Umstände‘ kann in einem Prozess durchaus sehr schwer zu erbringen sein!“

Gegen die Annahme einer gezielten Schwächung bzw. Ausbeutung kann sprechen, wenn im Verhältnis zu den tatsächlichen Austritten eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Handelsvertretern abgeworben wurde. Gleiches gilt, wenn die Mitarbeiter mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind bzw. aus freien Stücken gewechselt sind. Ist zudem der Marktanteil trotz Abwerbungen gleich geblieben, so spricht dies auch dagegen, dass diese in Vernichtungs- bzw. Schädigungsabsicht vorgenommenen wurden. Beschränkt ein Konkurrent seine Abwerbeaktivitäten auf einen Mitbewerber und schont den Marktführer, so liegt auch hier keine gezielte Behinderung vor. Auch per Werbeschreiben eine Unterstützung bei der Vertragsauflösung eines Handelsvertretervertrages anzubieten, ist wettbewerbskonform, solange dabei nicht unlautere Mittel eingesetzt werden. Sogar erste telefonische Kontaktaufnahmen unter Hinweis auf die Möglichkeit eines Stellenwechsels und eine kurze Beschreibung der Stelle sind wettbewerbsrechtlich zulässig. Die Grenze der Zulässigkeit und die Grenze zur Wettbewerbswidrigkeit ist erst bei wiederholten – insbesondere gegen den erklärten Willen des Angerufenen – telefonischen Abwerbeversuchen überschritten.

„Alles in allem zeigt die Entscheidung, dass das gezielte Abwerben von Handelsvertreter zulässig ist und damit gerichtlich nicht angegriffen werden kann, wenn bestimmte Spielregeln eingehalten werden“, so der auf die Beratung von Finanzdienstleistern spezialisierte Rechtsanwalt aus Berlin. Goerz gibt aber zu bedenken, „dass einem schnellen Wechsel des Vertriebsunternehmens oft längere Kündigungsfristen aus dem Handelsvertreterverhältnis entgegen stehen“.
Autor
RA Dietmar Goerz

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